Brigitte Obermeier haucht im Sommerhaus der jungen Gilgi im Rahmen einer szenischen Lesung das Leben ein.
Drum geht´s
Die junge Gilgi sucht im Köln der 1920er Jahre nach ihrer Identität. Sie wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, durchlebt Affären und Liebesbeziehungen und scharrt mit den Füßen in Richtung Zukunft.
Darum geht´s wirklich
Obermeier nimmt als Wanderführerin den Zuschauer mit auf den Lebensweg einer rationalen Frau. Einer modernen Frau, deren Gedankenwelt und Selbstwahrnehmung eher in die 2020er- als in die 1920er-Jahre passen.
Zum Bühnenbild
Ein Stehtisch, ein Glas Wasser und eine leidenschaftliche Rezitatorin – mehr braucht es nicht.
Zur Inszenierung
Anders als erwartet wird nicht ein Entwicklungsroman gezeigt. Gilgi ist von der ersten Sekunde an eine rationale, selbstbewusste Frau. Es stehen vielmehr die Konfrontationen auf dem Lebensweg der Protagonisten im Fokus der Darbietung. Gilgi, eigentlich Gisela, hat ein derart straffes Konzept für ihr Leben, dass kein Platz bleibt für Unvorhersehbares. Sie versucht, Gefühle zu planen.
„When I was young, it seemed that life was so wonderful
A miracle, oh, it was beautiful, magical […]
But then they sent me away to teach me how to be sensible
Logical, oh, responsible, practical“
(Richard Davies / Roger Hodgson)
Gilgi hält an ihrem Lebenskonzept fest, wägt ab und stellt bewusst Weichen für ihre Fahrt durchs Leben. Selbst ihre Liebesbeziehung zu Martin wirkt vorhergesehen und geplant. Und auch, als sie am 21. Geburtstag erfährt, dass sie adoptiert ist, bringt sie das nicht ins Wanken. Diese Information war nicht geplant und dieses Wissen darf daher auch keinen Platz in ihrem Leben einnehmen.
Gilgi ist eine reflektierte Frau, ihre Gedanken und die Begründungen ihrer individuellen Logiken sind zeitgemäß, modern und nachvollziehbar. Kaum zu glauben, dass diese Ideen vor nahezu 100 Jahren verfasst wurden.
Einzelne Szenen werde durch kurze, launige Swing-Einspieler voneinander abgetrennt. Die Unbeschwertheit der Musik verliert sich aber, um so weiter Gilgi auf ihrem Lebensweg voranschreitet. Gilgi muss auf ihrem Weg erkennen, dass sich das Schicksal nicht planen lässt. Die langsame Demontage des Lebensplans spiegelt sich auch in der Musik, die mehr und mehr verzerrt wird und eine subtil surreale, expressionistische Atmosphäre vermittelt.
Fazit
Ein außergewöhnlicher Theaterabend – gleichsam emotional und vertraut. Der Zuschauer ist eingeladen, die Augen zu schließen, der Erzählerin zu lauschen und Gilgi zu begleiten. Insgesamt kurzweilig, anspruchsvoll und unterhaltsam. 6 Beer.
